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Die Stille zwischen den Tönen

Wolfgang Tonninger im Gespräch mit Franz Welser-Möst in seinem Refugium am Attersee

Kann man sich auf eine öffentliche Figur wie Franz Welser-Möst überhaupt vorbereiten? Und was, wenn man zu gut vorbereitet ist und aus diesem Grund nicht mehr in das Gespräch findet? Weil das Wissen plötzlich im Weg steht und das Gegenüber verdeckt. 

Solche Fragen gehen mir durch den Kopf, als ich am Attersee ankomme. „Die schlimmsten Gespräche sind mit jenen Leuten, die glauben, etwas von der Musik zu verstehen“, verrät mir der Maestro am Ende unserer Unterhaltung und lacht. Gut, dass ich mich gleich am Beginn als Banause geoutet habe, denke ich mir. Das machte die Sache wohl einfacher.

Franz Welser-Möst ist einer, der beinahe programmatisch zwischen den Welten zu stehen scheint. Und vielleicht auch zwischen den Tönen. Dort, wo die Stille zuhause ist. Und die Pause. Weil jede Musik davon lebt, dass wir nicht nur Ausatmende sind, sondern auch Einatmende. Den überhitzten Musikbetrieb hält er für oberflächlich, schrill und unehrlich. Dagegen hilft die Natur beim Atemholen. Und „sein“ Orchester in Cleveland, dem er seit 2002 vorsteht und das zu den besten der Welt gehört. „Für die Karriere ist es nicht wichtig, nach Cleveland zu gehen“, sagt er mit einem Leuchten in den Augen, „aber wenn man richtig gute Musik machen will, dann ist es das Beste, was man tun kann. Auch, weil man als Dirigent davon lebt, was auf den Klangkörper des Orchesters überspringt und von den Wänden zurückgespielt wird.“

In Cleveland hat er beides. Ein Orchester, das schon „bei der ersten Probe auf einem unglaublichen Niveau beginnt“, und einen Konzertsaal, dessen Akustik nur mit jenem des Wiener Musikvereins vergleichbar ist. Kein Wunder, dass er, der sich mit einem Augenzwinkern als „einziger lebender Diktator in der westlichen Musikwelt“ bezeichnet, sein ganz persönliches, musikalisches Paradies gefunden hat; weil er dort auf höchstem Niveau gestalten und entscheiden kann und doch nicht so im Rampenlicht steht wie in Europa, wo „oft Namen wichtiger sind als Menschen und deren Visionen“. Hochgepuschte Karrieren sind Welser-Möst suspekt, genauso wie Laufbahnen, die allzu stromlinienförmig verlaufen. Denn er weiß es aus eigener, durchaus schmerzlicher Erfahrung, dass auch „ein nach außen hin erfolgreiches Leben aus vielen Höhen und Tiefen besteht, aus Kurven, bei denen man nicht weiß, was hinter der nächsten Biegung auf einen wartet.“ 

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»Ich habe Respektvor jedem Talent und kämpfe für Chancengleichheit, solange sie nicht zur Gleichmacherei wird. Denn Nivellierung ist immer eine Nivellierung nach unten und eineBedrohung für jeden, der um Qualität ringt.«

Da kann es schon mal sein, dass ein Auto ins Schleudern kommt, wie damals am 19. November 1978 auf der Losenheimer Brücke, als er zum 150. Todestag von Franz Schubert (und in seiner Todesstunde) dem Tod von der Schippe gesprungen ist. Mit seiner G-Dur-Messe noch im Ohr. Damals hat er hineingelauscht in die Ewigkeit. In „ein erfüllendes Vakuum des Klanges“, wie er schreibt, als das Auto vom Weg abkam und sich mehrmals überschlug.

Wir sitzen in seiner Kreativkapelle am Attersee und reden. In einem Raum auf zwei Etagen, der nur aus Klang zu bestehen scheint. Dort vertieft er sich in seine Partituren, wie es andere mit Büchern tun. „Wie eine Tapete mit Fliegenschiss. Ziemlich komplex“, meint er, während er eine aufklappt wie eine Schatztruhe. Es hat wieder zu schneien begonnen, und der See liegt in einem kalten Dunkelgrau vor uns, das nicht einmal bis ans andere Ufer reicht. Vor der Glastür, die uns vom Schnee trennt, hockt eine weibliche Holzfigur des Südtiroler Bildhauers Walter Moroder. Sie wirkt wie nicht von dieser Welt. Ganz nach innen gerichtet. Die Augen geschlossen. Aufgehend im Hören. Und wieder ist sie da – die Stille. „Das, was man beim Dirigieren zu sehen bekommt, macht nur zehn Prozent der Arbeit aus. Der Rest sind Konzentration und Energieübertragung,“ fährt mein Gegenüber fort, meiner Frage zuvorkommend: „Ich höre anders als andere. Meine Ohren sind mein Eingang ins Gehirn. Deshalb ist auch die Sehnsucht nach Ruhe so groß, wenn ich nicht arbeite.“ Und deshalb dreht seine Frau die Musik ab, wenn er heimkommt. „Oder kennen Sie einen Chirurgen, der am Tag 14 Stunden operiert und dann zuhause Videos von Operationen anschauen will?“

Als Ausgleich liebt es Franz Welser-Möst, in den Tag hinein zu wandern – am liebsten auf seinen Hausberg, den Hochlecken: diese Kombination aus körperlicher Anstrengung und gleichzeitiger Entspannung des Nervenkostüms; dieses Auf-sich-selbst-geworfen-Sein, solange es noch dunkel ist. Und dann das Erwachen, wenn der Tag die Farben und die Natur zum Klingen bringt. „Diese Verbindung zur Welt möchte ich nie verlieren. Ich erinnere mich sehr genau an einen Moment, es war 1983, bei den Proben mit Herbert von Karajan im Wiener Musikverein. Als ich ihn da in einer Pause allein auf der Bühne sitzen sah und mir dachte: So einsam wie dieser Mensch möchte ich nie werden.“

ZKBOE_Magazin_Plus_Welser-Moest_InterviewFranz Welser-Möst

Der 1960 in Linz geborene Dirigent Franz Welser-Möst ist seit dem Jahr 2002 Musikdirektor des Cleveland Orchestra. Zuvor war Franz Welser-Möst von 1990 bis 1996 Musikdirektor des London Philharmonic Orchestra, leitete von 1995 bis 2008 zunächst als Dirigent und später als Generalmusikdirektor das Orchester und das Ensemble des Opernhauses Zürich und war von 2010 bis 2014 Generalmusikdirektor der Wiener Staatsoper.
Während seiner Zeit als Generalmusikdirektor der Wiener Staatsoper widmete er sich neben der Pflege des gesamten Repertoires insbesondere den Opern des 20. Jahrhunderts. So leitete er u. a. die hochgelobten Neuproduktionen von Werken von Paul Hindemith und Leoš Janáček.
Als Gastdirigent hat Welser-Möst eine besonders enge und produktive Beziehung zu den Wiener Philharmonikern entwickelt und unter anderem 2011 und 2013 das berühmte Neujahrskonzert geleitet. Auch bei den Salzburger Festspielen setzte Franz Welser-Möst mit seinen Rosenkavalier-, Salome- und Elektra-Interpretationen neue Maßstäbe.
Franz Welser-Möst lebt am Attersee und verbringt mit seiner Frau drei bis vier Monate im Jahr in Cleveland (USA).
Franz Welser-Möst ist Kunde der Zürcher Kantonalbank Österreich AG.

Auch wenn Welser-Möst für die Musik lebt, war das Leben in der Kunstblase nie sein Ding. Das hat auch mit seinem dialogischen Verständnis des Dirigentenberufes zu tun. „Wir sind nachschöpferisch tätig. Also im eigentlichen Sinn keine Künstler, sondern Kunstvermittler, Zwischenträger – weil jedes Kunstwerk nur dadurch lebt, dass ein intensiver Austausch mit demjenigen stattfindet, der es anschaut.“ Er, der laufend neue Interpretationsmaßstäbe setzt, ist immer ein Suchender, aber auch ein Dienender geblieben. Einer, der mit beiden Beinen in der Gegenwart steht und weiß, dass „alles ständig in Bewegung und Perfektion für uns unerreichbar ist“. Deshalb gilt es, so viel wie möglich zu wissen oder besser: „in Erfahrung zu bringen, um dann, wenn es darauf ankommt, frei zu sein. Weil nur derjenige die Regeln brechen kann, der sie beherrscht.“

Das Privileg des Suchenden ist es aufzubrechen, wann immer er will. Immer wieder ins Neuland hinein, seit mehr als 40 Jahren. Wobei das Neuland ja auch nur verstanden werden kann, wenn man es gegen das Vertraute hält. Und umgekehrt. „Das ist wie am Theater. Man kann heute keinen Schnitzler oder Schiller inszenieren, ohne eine Zeile von Jelinek zu kennen.“ Wie viel musikalische Heimat es da wohl braucht für solche Abenteuer, frage ich ihn. Und er? Er lässt sich Zeit mit seiner Antwort. „Je älter ich werde, umso mehr entdecke ich die eigenen Wurzeln.“ Schubert zum Beispiel hat ihn immer begleitet. Neuerdings wird ihm auch Josef Strauss immer näher oder Joseph Lanner – eine zutiefst österreichische Musik.

Und immer wieder Schubert – dieser wehmütige, verletzliche, aber immer auch versöhnliche Wegbegleiter, der ihn – anders als der neurotische, anarchistische, ständig angespannte und trotzige Mahler – auch einmal zur Ruhe kommen und Atem holen lässt. „Mahler, das ist kein Reisebegleiter, mit dem man auf Tournee gehen kann. Wohlgemerkt, ich dirigiere ihn gerne, weiß aber auch, dass er mein Nervenkostüm angreift wie kaum ein anderer und mir immer wieder mit der Faust ins Gesicht fährt.“

Vielleicht ist es das, was den streitbaren Dirigenten ausmacht: Dass er auf Tuchfühlung geht mit seiner Umwelt und sein Herz auf der Zunge trägt. Die Brüche und Verzweigungen in seiner Biografie legen Zeugnis davon ab. „Eine Teflon-Karriere war das nicht“, meint er verschmitzt und kämpferisch zugleich. Aber Wahl hat ihm seine Liebe zur Musik keine gelassen – auch, weil er sein Leben nie einem Karriereplaner übergeben wollte. „Wenn man sich auf das Leben einlässt, dann gehört das Scheitern dazu.“

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Wie am Ende seiner Londoner Zeit, 1994, als er in der Musikwelt beruflich für tot erklärt worden war und sich neu erfinden musste. Doch für einen, bei dem das Neuerfinden, zur täglichen Routine gehört, scheint das alles halb so schlimm. Zumal es daneben ja auch noch eine andere Welt gibt, die sich solchen Kategorien entzieht. Auf die Frage nach seinen persönlichen Glücksmomenten antwortet Franz Welser-Möst mit einem Umweg: „Glücksmomente können überall auftauchen – natürlich auch in der Musik. Wenn man sich als Teil von etwas begreifen und das annehmen kann. Glück hat mit Dankbarkeit zu tun. Und deshalb ist das Glück in dieser Welt, in der man gewohnt ist zu fordern und auf sein Anrecht zu pochen, rar geworden. Dankbarkeit heißt, dass man bereit ist zu hören, was da ist.“

Romeo & Juliet Rehearsal

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Mendelssohn’s 2nd Rehearsal

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Mahler 5 Performance

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Videocredits: Courtesy of The Cleveland Orchestra

BUCHTIPP
Als ich die Stille fand. Plädoyer gegen den Lärm der Welt.
Franz Welser-Möst / Brandtsätter Verlag / 2020 

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