Ein Fass ohne Boden? Warum sich Anleihen im Portfolio noch lohnen.
von Simone Populorum
Mit Anleihen kann man derzeit kein Geld verdienen. Eine Aussage, die viele Anleger:innen schmerzt. Galten Staatsanleihen doch lange Zeit als sichere Anlageform, die auch in schwierigen Zeiten laufende Erträge erwirtschaftete.
Seit mehreren Jahren hängen Staatsanleihen in der Zinsfalle. Ein Blick auf die internationalen Staatsanleihenindizes zeigt, dass noch zum Jahresende bis zu 40 Prozent der darin befindlichen Anleihen negative laufende Renditen aufweisen. Doch es gab auch andere Zeiten. Wie im ersten Teil unseres Artikels Anleihen: Sicherer Hafen oder sinkendes Schiff? beschrieben, lag die laufende Rendite für die deutschen Bünde zwischen 1990 und 2000 noch zwischen 3,5 und 9 Prozent. Emittenten von Staatsanleihen schrieben sich sichere, stabile und regelmäßige Erträge auf die Fahne.
Was ist passiert?
Eine Ursache für die aktuelle Situation ist der Leitzins, welcher sich schon länger auf einem Rekordtief befindet. Aufgrund des jahrelangen, expansiven geldpolitischen Kurses der Notenbanken und die durch die Pandemie ausgeweiteten Anleihekaufprogramme sank weltweit das Zinsniveau. Doch wieso kam es überhaupt zu dieser Geldschwemme der Zentralbanken? Vor der Corona-Pandemie gab es viele Jahre, in denen die Preise kaum stiegen und das Damoklesschwert der Deflation über den Köpfen der Entscheidungsträger:innen hing.
Die Senkung der Zinsen kurbelte Ausgaben sowie Investitionen an und negative Auswirkungen auf die Realwirtschaft konnten so vermieden werden. In den letzten zwölf Monaten hat sich nun aber das Blatt grundlegend gewendet. Die aufgestaute Konsumnachfrage führte im letzten Jahr zu einem enormen Boom mit wachsenden Inflationsgefahren. Darüber hinaus treiben die steigenden Rohstoff- und Energiepreise die Preise derzeit immer weiter nach oben. Das Zusammenspiel aus niedrigen Zinsen und steigender Inflation führt letztlich zu dem aktuellen Dilemma: Stark negative Realrenditen im gesamten Anleihebereich.
Da niemand gerne für das Verleihen von Geld bezahlt, sondern gerne etwas dafür bekommen möchte, steht die Frage im Raum, ob es überhaupt noch zeitgemäß ist, Anleihen im Portfolio zu behalten. Schließlich gibt es ja noch andere Anlageformen, die höhere Erträge versprechen und die Versuchung ist groß, zu diesen zu wechseln. Aktien, risikoreichere Anleihen und Kryptowährungen rücken somit in den Fokus der Investor:innen.
Anleihe ist nicht gleich Anleihe
Anleihen darf man nicht alle in einen Topf werfen. Manche Anleihen versprechen höhere Zinszahlungen, sogenannte „Kupons“, als andere. Doch wie so oft gibt es auch hier zwei Seiten der Medaille. Denn die höheren Kuponzahlen beruhen zumeist auf einem höheren Ausfallrisiko. Es liegt auf der Hand, dass ein Schuldner mit schlechterer Bonität seinem Anleger etwas bieten muss, damit dieser überhaupt sein Geld in ihn investiert – nämlich höhere Zinsen.
Doch welche Anleihen fallen in diese Kategorie? Zum einen betrifft dies Anleihen aus Schwellenländern, sogenannte Emerging Market Bonds, wobei Anleihen aus diesen Ländern einer deutlich höheren Gefahr der Zahlungsunfähigkeit unterliegen. Zum anderen gibt es Unternehmensanleihen, auch Corporate Bonds genannt. Diese Anleihen werden von emissionsfähigen Unternehmen ausgegeben, wobei die Sicherheit von der Zahlungskraft des jeweiligen Unternehmens abhängig ist. Für gewöhnlich bieten Staatsanleihen eine höhere Sicherheit als Unternehmensanleihen. Zwar gibt es in der Geschichte genug Beispiele für Staatspleiten, doch die Wahrscheinlichkeit, dass es so weit kommt, ist nichtsdestotrotz niedriger als die Gefahr der Insolvenz eines Unternehmens.
Zu guter Letzt gibt es noch „Hochzinsanleihen“, man spricht auch von High Yield Bonds. Hochzinsanleihen locken – wie es ihr Name schon sagt – mit einer besonders hohen Verzinsung, allerdings mit dem bitteren Beigeschmack, dass auch die Kreditwürdigkeit sehr zu wünschen übrig lässt. Emittenten dieser Art von Anleihen können sowohl Staaten als auch Unternehmen sein, welche üblicherweise bereits einen hohen Schuldenberg haben. Wer Hochzinsanleihen gegen Euro-Staatsanleihen (Staatsanleihen von Ländern innerhalb der Euro-Zone) eintauscht, um die Rendite seines Portfolios zu erhöhen, muss sich im Klaren darüber sein, dass er damit die Schwelle vom relativ ausfallsicheren zum spekulativen Bereich überschreitet. Darüber hinaus steigt bei höherrentierlichen Anleihen aus den Emerging Markets, dem High-Yield-Bereich oder Unternehmensanleihen nicht nur die Volatilität, sondern auch die Korrelation mit Aktien stark an.
Das Diversifikationspotenzial von Anleihen
Was bedeutet das? Ein Vorteil von Anleihen ist ihr dämpfender Effekt, welcher im Wesentlichen daraus resultiert, dass diese nicht zu sehr mit Aktien korrelieren. Kommt es zu einer massiven Abwärtsbewegung an den Aktienmärkten, wie beispielsweise im ersten Lockdown der Corona-Pandemie im Jahr 2020, wirken Anleihen wie ein Sicherheitsnetz und können den Totalabsturz vermeiden. Die Berücksichtigung von höherrentierlichen Anleihesegmenten bei der Portfoliokonstruktion kann daher immer nur als Beimischung gelten, da ansonsten die aktienähnlichen Risiken zu stark ansteigen.
Die Korrelation bezeichnet grundlegend eine wechselseitige Beziehung zwischen zwei Assetklassen, wobei der Korrelationsgrad zwischen -1 und +1 liegt. Eine negative Korrelation bedeutet, dass die Kurse von Aktien und Anleihen gegenläufig verlaufen. Im Gegensatz dazu zeigt eine positive Korrelation, dass die Kurse in die gleiche Richtung laufen. Ein Wert von Null steht hingegen für voneinander unabhängige Kursentwicklungen.
Rendite aktuell | Volatilität | Korrelation | |
---|---|---|---|
Deutsche Staatsanleihen | -0,04% | 3,07% | -0,03 |
Staatsanleihen Eurozone | 0,57% | 3,95% | 0,07 |
Internationale Staatsanleihen | 1,07% | 4,65% | -0,10 |
Unternehmensanleihen | 1,93% | 2,42% | 0,48 |
Emerging Markets Anleihen | 4,55% | 6,00% | 0,55 |
High-Yield Anleihen | 5,08% | 5,21% | 0,70 |
Die Ehe zwischen Aktien und Anleihen
Wer bereit ist, höhere Risiken einzugehen, wird sicherlich darüber nachdenken, seinen Aktienanteil zu erhöhen. Um diese Frage für sich selbst beantworten zu können, sollte man die allgemeinen Unterschiede zwischen Anleihen und Aktien kennen.
Grundsätzlich sind Anleihen Schuldverschreibungen im Sinne von Fremdkapital, wobei man als Investor:in einen rechtlichen Anspruch auf laufende Kuponzahlungen sowie die Rückzahlung des Anlagekapitals am Ende der Laufzeit hat. Zudem werden Schuldtitel im Falle einer Insolvenz vor Eigenkapitalbeteiligungen bedient. Als Aktionär:in hat man hingegen ein Recht auf Gewinnbeteiligung sowie üblicherweise ein Stimmrecht in der Hauptversammlung. Darüber hinaus besteht die Chance auf Kursgewinne und eine Dividendenausschüttung, weil man Miteigentümer:in des jeweiligen Konzerns wird. Das Zauberwort ist hier Chance. Denn eine Garantie gibt es bei Aktien nicht, da der Cashflow des Betriebes von unterschiedlichsten Faktoren abhängig ist. Wenn sich ein Unternehmen wirtschaftlich sehr positiv entwickelt, ist aber durchaus eine wesentlich höhere Rendite als bei Anleihen möglich.
Wie jeder Eigentümer trägt man als Aktionär aber auch ein gewisses unternehmerisches Risiko. Kurz: Aktien können zwar höhere Erträge liefern, sind aber auch volatiler. Eine hohe Aktienquote erfordert eine entsprechende Risikotoleranz sowie einen langen Anlagehorizont. Vor allem bei unverhofft negativen Ereignissen kann sich das Blatt schnell wenden, sodass es zu plötzlichen Kurseinbrüchen kommt, weil viele Marktteilnehmer auf die Geschehnisse gleichzeitig reagieren. Wer ein wenig strapazierbares Nervenkostüm besitzt und sich von kurzfristigen Kursverlusten aus der Ruhe bringen lässt, ist mit Anleihen besser beraten. Im Idealfall werden Anleihen und Aktien kombiniert, um relative Sicherheit mit höherem Renditepotenzial zu verheiraten.
Der Portfolio-Vergleich: Staatsanleihen als Stoßdämpfer
Um die Frage nach der Zukunft von Anleihen beantworten zu können, haben wir unterschiedliche Ausrichtungen miteinander verglichen. Denn nur wenn man verschiedene Portfolios gegenüberstellt, wird deutlich, welchen Vorteil Anleihen derzeit noch liefern können. Hierfür haben wir drei verschiedene Beispielportfolios ins Rennen geschickt:
- ein traditionelles Portfolio mit 50 Prozent Aktien, 40 Prozent Euro-Staatsanleihen und 10 Prozent Gold,
- Portfolio A mit ebenfalls 50 Prozent Aktien und einem Mix aus höherrentierlichen und damit mit Aktien stärker korrelierenden Anleihen und schließlich
- Portfolio B mit 50 Prozent Aktien, 30 Prozent Euro-Staatsanleihen sowie zusätzlich 10 Prozent Immobilienaktien und 10 Prozent Bitcoin.
Hierfür haben wir zwei Betrachtungszeiträume gewählt. Einerseits die heiße Phase des ersten Pandemiejahres 2020 sowie die Wertentwicklung im durch den Ukraine-Russland-Krieg geprägten ersten Quartal 2022.
Traditionelles Portfolio | Portfolio A | Portfolio B | |
---|---|---|---|
Aktien global | 50% | 50% | 50% |
Euro Staatsanleihen | 40% | 30% | |
Unternehmensanleihen | 20% | ||
Emerging Markets Anleihen | 15% | ||
High-Yield Anleihen | 15% | ||
Gold | 10% | ||
Immobilien Aktien | 10% | ||
Bitcoin | 10% | ||
Gesamt | 100% | 100% | 100% |
Corona-Pandemie: Stürmische Zeiten am Finanzmarkt
Die nachfolgende Grafik verdeutlicht den auf den ersten Lockdown zurückzuführenden massiven Absturz aller drei Portfolios, wobei das traditionelle Portfolio noch den besten Kurswert halten konnte (85,40 EUR). Was auffällt ist, dass auch die Volatilität des traditionellen Portfolios mit 15,32 Prozent den geringsten Wert aufweist.
Die höchste Volatilität besitzt Portfolio B, kommt aber dennoch bezogen auf den Endstand kaum über die Entwicklung des traditionellen Portfolios hinaus. Das stärkere Auf und Ab und die damit verbundene höhere Unsicherheit bringen zumindest in diesem Zeitraum keinen nennenswerten Vorsprung in der Performance.
Portfolio A schneidet in diesem Vergleich am schlechtesten ab und zeigt sogar eine negative Wertentwicklung. Abschließend lässt sich sagen, dass Immobilienaktien oder Bitcoins die Risikodämpfung eines gemischten Portfolios grundsätzlich verschlechtern und somit nicht als Ersatz für defensive Anleihen herangezogen werden können. Diese zum Teil neuen Anlageklassen korrelieren häufig ebenfalls stark mit dem Aktienmarkt und können im Falle von Marktkorrekturen zu einem erhöhten Absacken des Portfolios führen.
Traditionelles Portfolio | Portfolio A | Portfolio B | |
---|---|---|---|
Wertentwicklung | 2,44% | -1,59% | 2,84% |
Tiefster Kurs in EUR | 85,40 | 78,82 | 80,23 |
Maximaler Rückgang | -19,20% | -24,95% | -26,55% |
Volatilität | 15,32% | 17,03% | 21,07% |
Krisengebeutelt: Wertentwicklung während des Ukraine-Russland-Krieges
Betrachtet man die untenstehende Grafik, wird deutlich, dass auch im heurigen herausfordernden ersten Quartal das traditionelle Portfolio bisher die Nase vorne hatte. Dies zeigt sich durch einen niedrigeren maximalen Rückgang (-2,96 Prozent) sowie eine geringere Volatilität (4,37 Prozent) verglichen mit Portfolio A und Portfolio B. Dies liegt daran, dass es in der ersten Phase des Einmarsches in der Ukraine zu einer kurzfristigen Trendumkehr bei Staatsanleihen kam, denn wie so oft in Krisenzeiten flüchteten sich die Anleger:innen in sichere Häfen. Im weiteren Verlauf der Krise brachten die stark ansteigenden Inflationsrisiken zwar auch die Staatsanleihen in die Bredouille, dennoch bot die traditionelle Portfoliokonstruktion der aktuellen Krise noch am besten die Stirn. Auch der 10-prozentige Goldanteil konnte seine Stärken ausspielen.
Portfolio A erlebt bei der Wertentwicklung den stärksten Rückgang mit -4,77 Prozent. Die Ursachen dafür liegen im höheren Risiko auf der Anleihenseite sowie dem fehlenden Goldanteil. Nimmt man Portfolio B genauer unter die Lupe, zeigen die Immobilienaktien höhere Korrelation zum Aktienmarkt als zu sicheren Anlageklassen. Bitcoin hingegen bewegt sich im Gleichklang mit anderen risikobehafteten Anlageformen und bietet wenig Diversifikation. Die Volatilität (6,9 Prozent) sowie der maximale Rückgang (-9,09 Prozent) zeigen, dass Portfolio B den stärksten Schwankungen unterlag.
Traditionelles Portfolio | Portfolio A | Portfolio B | |
---|---|---|---|
Wertentwicklung | -2,96% | -4,77% | -3,47% |
Tiefster Kurs in EUR | 93,97 | 91,53 | 90,91 |
Maximaler Rückgang | -6,22% | -8,63% | -9,09% |
Volatilität | 4,37% | 4,84% | 6,90% |
Die schlechte Nachricht: Aktuell stecken wir noch mitten in der Krise. Nach vorne geblickt sind die Ertragsaussichten der Staatsanleihen weiterhin sehr bescheiden. Das erste Quartal 2022 bescherte dieser Anlageklasse sogar das schlechteste Ergebnis seit Jahrzehnten. Denn die Inflation steigt unaufhörlich und nagt an den Geldbeuteln der Verbraucher:innen. Es ist zu erwarten, dass die Europäische Zentralbank auf diese Entwicklungen in absehbarer Zeit mit Zinserhöhungen reagieren wird. Unsere Analyse zeigt, dass es aber weiterhin wenig Alternativen zu Staatsanleihen gibt. Denn auch wenn zufriedenstellende Erträge nur ferne Zukunftsmusik sind, so haben sie auch weiterhin ihre Berechtigung als Diversifikationselement im Portfolio. Dies zeigt sich darin, dass in beiden Auswertungen das traditionelle Portfolio auf dem ersten Platz rangiert. Und das sind ja schon fast wieder positive Nachrichten in turbulenten Zeiten wie diesen.
Rechtliche Hinweise
Bitte beachten Sie, dass die Inhalte allgemeiner Natur sind und keine Anlageberatung oder sonstige Anregungen zu Anlagestrategien in Bezug auf ein oder mehrere Finanzinstrumente oder deren Emittenten darstellen. Weitergehende Informationen entnehmen Sie bitte den Rechtlichen Hinweisen.
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