Kopf oder Zahl
von Wolfgang Tonninger
Auf den ersten Blick ist Geld ohne Tiefe. Man hat es oder man hat es nicht. Und dieses Haben oder Nichthaben begründet auch meist unsere Beziehung zu ihm. Und doch: Geld ist etwas, das nur auf den ersten Blick einfach ist.
Bei näherem Hinsehen erweisen sich sogar Binsenwahrheiten als wackelige Hypothesen. Als ob es einen doppelten Boden gäbe, unter dem vermeintliche Gewissheiten zerbröseln. Wie ist es sonst zu erklären, dass Alan Greenspan, langjähriger Präsident der amerikanischen Notenbank und ein Meister im Jonglieren allergrößter Summen, nach seinem Ausscheiden aus dem Amt eingestanden hat, dass er am Ende nicht wisse, was Geld eigentlich sei?
Ursprungsmythen
Doch beginnen wir am Anfang – wenn wir ihn denn finden. Denn die Wurzeln des Geldes liegen im Dunkeln und sind immer wieder Anlass für prinzipielle Debatten. Die einen pochen auf einen religiösen Ursprung in Opferritualen, die anderen auf den Akt der Beglaubigung, der einen Wert festhält und garantiert. Und wieder andere betonen eine fließende Entwicklung aus dem Warenhandel.
» Die Phönizier haben das Geld erfunden – aber warum so wenig? «
Johann Nestroy
Ihre These: Weil die zu tauschenden Waren nicht immer denselben Gebrauchswert hatten und oft nicht dann nachgefragt wurden, wenn sie verfügbar waren, entwickelte sich nach und nach so etwas wie ein Zwischengut oder Tauschmedium, das einfach zu transportieren, gut teilbar, ausreichend vorhanden und wertbeständig war. Und damit, so erzählen es die Anhänger dieser Geschichte, war der, der einen Faustkeil zu viel und ein Stück Mammutfleisch zu wenig hatte, nicht mehr auf das unverschämte Glück angewiesen, jemandem über den Weg zu laufen, der ausgerechnet ein Stück Mammutfleisch zu viel und einen Faustkeil zu wenig hatte. Und noch dazu in diesem Augenblick willens war, dieses Eine gegen jenes Andere zu tauschen. Klingt auf den ersten Blick plausibel. Aber eben nur auf den ersten Blick. Denn diese Ursprungsgeschichte des Geldes setzt genau das voraus, dessen Entstehung sie erklären will: einen Tauschhandel, der ohne Tauschmedium funktioniert. Und: Sie beantwortet die Frage nicht, was Geld eigentlich seinen Wert und damit Gültigkeit verleiht. „Geld ist zu Geld erklärtes Geld, beglaubigt vom Vertrauen der Geldgemeinde in seine Gültigkeit,“ notiert Dieter Schnaas in seiner Kulturgeschichte des Geldes.
„Was die Autorität zum Geld erhebt, steht ganz in ihrem Belieben. Im Senegal war es das Salz, in Alaska der Pelz, in Island der Dörrfisch, in Indien die Bittermandel, in China der Reis. Es bedarf nur einer Proklamation, und schon sind morgen Regenschirme oder Rasenmäher Geld.“ Die Tauglichkeit eines Zahlungsmittels ist also immer von einer Autorität abhängig, die seinen Wert garantiert und vom Vertrauen der Marktteilnehmer, dass diese Garantie auch tatsächlich hält. Christina von Braun ortet hier eine Grundspannung, die unser Verhältnis zum Geld mitbestimmt: „Geld richtet sich an den Einzelnen, aber es kann seine Funktionen nur erfüllen, wenn alle von seiner Glaubwürdigkeit überzeugt sind.“ Wer Geld in Umlauf bringt, muss diese psychologische Dimension mitbedenken?
Ohne Gold ist Geld alles
Es war einmal eine Zeit, da war Geld Gold wert oder hatte zumindest ein wenig davon in sich. Und es war einmal eine Gegend, da wurde das Geld erfunden. In einem Königreich namens Lydien, um 700 v. Chr., an der Westküste der heutigen Türkei. Diese leichte und bewegliche lydische Münze, so sagt man, öffnete neue Handelswege und neue Horizonte. Dass diese lydische Münze seine Turbo-Eigenschaften entwickeln konnte, lag zum einen darin, dass ihr Goldanteil einen Geldwert beglaubigte, der weit über dem tatsächlichen Warenwert lag. Und zum anderen, dass es den lydischen Königen Gyges und Krösus mit riesigen Goldgeschenken an die griechischen Tempel von Delphi und Branchidae gelang, das neue Geldsystem in den Westen einzuschleusen.
Dass es daneben auch alternative Ansätze gab, zeigt die Blütezeit Spartas, wo über dreieinhalb Jahrhunderte ein numerisches Geldsystem errichtet und erfolgreich exportiert wurde, das auf Eisenscheiben beruhte, die in erhitztem Zustand in Essig getaucht und damit jedes „immanenten“ Werts beraubt wurden. Der Wert dieses Geldes bezog sich ausschließlich auf die Menge der in Umlauf gebrachten Einheiten.
Es waren die Philosophen Platon und Aristoteles, die den Geldpraktiken dieser Zeit einen begrifflichen Boden bereiteten. Sie erkannten den wichtigsten monetären Grundsatz, dass Geld seinem Wesen nach keine Ware ist, sondern eine Schöpfung des Gesetzes. Aristoteles sprach über das Eine als Maß und Stellvertreter für alle anderen Bedürfnisse und nannte es Nomisma (Geld), während Platon in seinen sokratischen Dialogen über den Reichtum viel geheimnisvoller klang: »Das Geld der Karthager sah so aus: Ein Gegenstand von der Größe einer Tetradrachme wurde in ein kleines Lederstück eingeschnürt. Woraus der Gegenstand besteht, wissen nur seine Hersteller. Als nächstes wurde das Lederbündel mit einem staatlichen Siegel versehen und in Umlauf gebracht.“
Diese Beschreibung scheint etwas vorwegzunehmen, das mehr als 2000 Jahre später von Ludwig Wittgenstein in seinen Gedanken über das Sprachspiel aufgenommen wurde. Er geht davon aus, dass wir alle eine Schachtel mit einem Käfer mit uns führen, jedoch niemals in die Schachtel der anderen blicken können. Dieser Käfer könnte alles Mögliche sein, auch das Ding im Lederbündel. Bedeutend ist er nur durch seinen Gebrauch: „Durch dieses Ding in der Schachtel kann ‚gekürzt werden‘; es hebt sich weg, was immer es ist.“
Je abstrakter das Geld wurde, umso mehr war es in der Lage, die Realität zu bestimmen. Von der Münze zum Papiergeld zum elektronischen Bit. Geld, das vor allem Zeichen ist, hat seine Funktion und damit seinen Wert nur darin, dass es gegen etwas Reales – also Waren und Güter – eintauschbar ist. Dass man vom Inhalt in der Schachtel absehen kann, solange das Vertrauen der Teilnehmer am Sprach- oder Geldspiel vorhanden ist, das ist heute nicht nur das Grundprinzip freier Währungen.
Die Bruchlinie zwischen Gold und Geld markiert auch die Beschaffenheit eines Marktes, in dem emotionale Eruptionen – zwischen Angstverkäufen und Hamstereinkäufen – an der Tagesordnung sind. Die endgültige Trennung in diesem Scheidungsdrama besiegelte übrigens ein Dekret von Richard Nixon im Jahr 1971 – mit dem sensationellen Ausgang, dass daraus nicht das substanzvolle Gold, sondern das substanzlose Geld als der große Gewinner hervorgeht. Die Begründung ist „so banal wie grundstürzend zugleich“, schreibt Dieter Schnaas: „Gold ist ohne Geld nichts und Geld ist ohne Gold alles.“
» Gold ist ohne Geld nichts und Geld ist ohne Gold alles. «
Dieter Schnaas
Vom Industriezeitalter zur Wissensökonomie
Es gehört zu den gerne übersehenen Abwegen der Geldgeschichte, dass die Industrielle Revolution in Europa mit dem Gold und Silber aus den Minen Lateinamerikas bezahlt wurde. 60.440 Tonnen Silber und 1.230 Tonnen Gold waren es in zwei Jahrhunderten, zwischen 1493 und 1690, die auf Schiffen nach Europa gebracht wurden. Eine Operation, bei der in knapp 50 Jahren mehr als 15 Millionen Indigene ums Leben kamen – auch, weil sie auf die perfiden Tauschpraktiken der Spanier und Portugiesen keine Antwort fanden.
Von da an ging es schnell. Zunächst vor allem in England. Die Industrielle Revolution ist eine Geschichte der Beschleunigung und der Mobilisierung, in deren Zentrum die Dampfmaschine stand. Ein Jahrhundert später war es der Autopionier Henry Ford, der die Idee der Massenproduktion am Fließband auf den Punkt brachte: „Sie können ein Auto in jeder Farbe haben, Hauptsache es ist schwarz.“ Die Konsequenz dieser Idee: Um zu garantieren, dass am Ende der Maschine möglichst viel Gleiches herauskommt, musste vorne möglichst viel Gleiches hineingesteckt werden. In diesem Sinne wurde der Mensch als Produktivkraft auf wenige Handgriffe reduziert und damit austauschbar gemacht.
Das war die alte Arbeit, die der Logik der Fabrik gehorchte. Dass sie noch heute in unseren Köpfen spukt, zeigt sich darin, dass wir den Menschen und seine Individualität immer noch gerne als Störfaktor begreifen; als Sand im Getriebe der ansonsten reibungslos laufenden Maschine. Und die neue Arbeit? Sie beginnt in dem Moment, in dem wir begreifen, dass der Erfolg von Unternehmen heute davon abhängt, inwieweit Mitarbeiter selbstständig Probleme lösen und im Umgang mit Kunden mehr Wert schaffen; und dass man Engagement und Kreativität eben nicht mit der Stechuhr messen kann.
Es war im Jahr 1998 als David Weinberger mit seinem „Cluetrain Manifest“ 95 Thesen an die Tür des neuen Jahrtausends nagelte. Die erste davon lautet: „Markets are conversations.“ Wenn Märkte als Gespräche begriffen werden, in denen sich Menschen über Unternehmensgrenzen hinweg austauschen, wird Information zur entscheidenden Ware.
Dass mit der Entwicklung von virtuellen Währungen wie Bitcoin die computerbasierte Lösung kryptografischer Aufgaben zur Gelddruckmaschine wird, ist ein Indiz dafür, dass wir endgültig in der Informationsgesellschaft angekommen sind. Eine Gelddruckmaschine wohlgemerkt, die bei 21 Millionen Stück so etwas wie eine künstliche Sollbruchstelle aufweist. Überspitzt könnte man formulieren, dass die Maschine sich selbst zerstören muss, um ihren Wert zu sichern. Ist das die nächste Blase? Wir werden es wissen, nachdem sie geplatzt ist.
Neue Menschenbilder
Das ist die eine Seite der Informationsökonomie. Die andere ist die, dass Wissen mehr wird, wenn wir es teilen. Das ist keine Plattitüde, sondern markiert das Ende eines jahrhundertealten Missverständnisses: dass der Mensch immer nur auf seinen persönlichen Vorteil bedacht ist. Heute scheint es fast so, als ob das Prinzip des Teilens ein Grundpfeiler des neuen Wirtschaftens wird. Stichwort: Sharing Economy. Wir nutzen heute viel mehr, als wir besitzen – Rechenleistung, Software, Wohnungen, Fortbewegungsmittel, Landschaften, Ideen. Und wir wissen, dass Kooperation heute nicht nur der Schlüssel ist, um erfolgreich zu agieren, sondern auch die treibende Kraft, wenn es um die Zukunft unseres Planeten geht.
Für Rutger Bregman ist dieser Perspektivenwechsel wichtig genug, um eine neue Geschichte der Menschheit zu schreiben. Mit unzähligen Beispielen, die belegen, dass wir im Grunde keine Ego-Maschinen sind, sondern soziale Wesen.
Und was hat das Ganze mit Geld zu tun?
Sehr viel. Denn die Bilder, die wir im Kopf tragen, bestimmen unsere Wahrnehmung und damit unser Handeln. Wenn Austausch immer nur als Transaktion wahrgenommen wird, durch die wir unseren Gewinn vermehren wollen, dann formen wir in unseren Beziehungen einen Menschen, mit dem wir zwar gut rechnen, jedoch schwer leben können.
Die Maori, die Ureinwohner Neuseelands, pflegen heute noch das, was man einen archaischen Tausch nennt. Sie übergeben dabei ein Etwas, das sie schätzen und „taonga“ nennen. Entscheidend ist, dass es dabei immer um ein nicht greifbares Mehr geht – das „hau“ –, das nur dann zustande kommt, wenn ein Dritter im Spiel ist. Das heißt, dass dieses hau nicht in der direkten Erwiderung der Gabe entsteht, sondern nur, wenn sie weitergereicht wird und dazwischen Zeit vergeht. Erst dann, wenn sie als weitergereichte Gabe erwidert wird und zum Geber zurückfindet, erfolgt die Aufladung. Was auf den ersten Blick kompliziert wirkt, ist es auch auf den zweiten Blick. Das „hau“ unserer sozialen Bindungen wird immer ein Geheimnis bleiben – solange wir uns nicht ganz erschließen lassen.
Computer sind heute in der Lage, in einer Sekunde so viele Daten zu verarbeiten, dass sie Dinge tun können, die lange Zeit dem Menschen vorbehalten waren. Maschinen sind die besseren Schachspieler, Maschinen sind die besseren Autofahrer, Maschinen schlagen uns in Gebieten, wo wir dachten, dass es um Intuition, also um etwas zutiefst Menschliches geht. Die US-Datenfirma Acxiom handelt heute mit persönlichen Daten von rund 300 Millionen US-Bürgern, die in 70 Kategorien eingeteilt und im Katalog wie Waren angeboten werden.
Mit Daten ist (fast) alles möglich. Wir können beinahe jedes Kaufverhalten vorhersehen und die Zukunft aus ihnen ableiten. Aber gestalten können wir sie damit nicht. Das Problem mit dem Geld ist ähnlich gelagert, weil es immer wieder als Lösung herhalten muss. Dabei ist es bestenfalls ein Nebengeräusch guten Gelingens.
Bücher zum Thema
- Im Grunde gut. Eine neue Geschichte der Menschheit | Rutger Bregman / 2020
- Das Geld. Was es ist, das uns beherrscht | Eske Bockelmann / 2020
- Der Preis des Geldes. Eine Kulturgeschichte | Christina von Braun / 2012
- Geld im Mittelalter | Jacques Le Goff / 2010
- Kleine Kulturgeschichte des Geldes | Dieter Schnaas / 2012
- Der Mythos vom Geld – die Geschichte der Macht. Vom Tauschhandel zum Euro: eine Geschichte des Geldes und der Währungen | Stephen Zarlenga / 1999
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